Möbel und Interieur
Art-Déco-Möbel kamen im Wesentlichen aus Frankreich und insbesondere aus Paris, in den Zwanzigerjahren wurde außerhalb Frankreichs fast nichts vergleichbares in Gestaltung und Qualität produziert. Die amerikanischen Möbelschreiner waren eher von deutschen und österreichichen Modernisten inspiriert als von den Beispielen aus den Pariser Salons.
Die Wurzeln der Art-déco-Möbel sind beim französischen ancien régime und die der Arbeit der Kunsttischler des 18. Jahrhunderts wie Riesener, Roentgen und Weisweiler zu suchen. Dieser Vergleich wurde unter andrem von Jaques-Émile Ruhlmann und Jules *Leleu selbst angeregt. Nach der überschwänglichen Ära des Jugendstils, in der man der Ansicht war, Möbelbauer seien weit vom bewährten Weg traditionellen französischen Geschmacks abgekommen, schien es ein Bedürfnis nach einer Rückkehr zur Reinheit der Form und Kultiviertheit zu geben.
Die Gestaltung wurde vereinfacht, geschnitzte Details zurückgenommen. Nun wurde die Harmonie in den ansprechenden Proportionen eines Stuhlbeins gesehen oder in der unaufdringlichen Elfenbeinverzierung der Leisten. Die strenge Doktrin des österreichischen Architekten Adolf Loos zu Beginn des 20. Jahrhunderts-Ornament sei mit Verbrechen gleichzusetzen-war vorausschauend gewesen: Doch ganz wurde die Dekoration nach den Exzessen des fin de siécle nicht aufgegeben. Sie blieb integraler Bestandteil der Art-déco-Möbel. Schönheit im Heim, so wurde argumentiert, sei wichtig für das Wohlbefinden des Menschen.
Untersucht man die Stücke aus den Jahren zwischen den Kriegen, lassen sich die Designer der Art-déco-Möbel in drei Richtungen unterteilen: Traditionalisten, Individualisten und Modernisten. Die Traditionalisten übernahmen das Erbe der französischen Kunstschreinerei des 18. und 19. Jahrhunderts. Jacques-Émile Ruhlmann war der berühmteste und einflussreichste Designer unter ihnen. Zwar wurden viele seiner bekanntesten Werke vor 1920 entworfen, doch gelten seine Möbel heute als Inbegriff des Art déco in seiner feinsten Ausprägung, einerseits wegen seiner untadeligen Formen, andererseits wegen seiner umsichtigen Kombination kostbarster Materialien.
Ebenholz mit seiner pechschwarzen Oberfläche, doppelt poliert, um seine typische Färbung zur Geltung zu bringen, war das Lieblingsholz des Designer, und das führte in den Zwanzigerjahren zu einer Knappheit in der Branche. Kunstschreiner mussten entweder auf Ebenholzfurnier oder andere Hölzer zurückgreifen. Für Ruhlmann und andere war der beliebteste Ersatzstoff Makassar-Ebenholz von der indonesischen Insel Celebes. Weitere wichtige Tropenholzfurniere waren brasilianische Jacaranda (palisandre de Rio), die oft abwechselnd mit anderen Furnieren verarbeitet wurden: Amarant, Amboina, Mahagoni, Rosenholz und Ahorn. Außerdem konnten diese in Kombination mit Wurzelholz wie Ahorn oder Esche verwendet werden. Die exotischen Arten - Palmholz, Calamander und Zebranholz - mussten sparsam eingesetzt werden, wenn ihre sehr charakteristische Maserung den Betrachter nicht optisch erschlagen sollte.
Der Möbeldesigner des Art Déco erweiterte sein dekoratives Repertoire gern auch mit anderen Materialien und verlieh seinen Werken so zusätzlich einen Touch von Opulenz: insbesondere Lack, galuchat (chagrin), Elfenbein und Schmiedeeisen. Von diesen überdauerte im Wesentlichen der Lack die Zwanzigerjahre, danach kamen zunehmend industrielle synthetische Lacke in Gebrauch. Galuchat ist die Haut eines kleinen gepunkteten Knorpelfisches: Rochenleder. Sie konnte ungebleicht verwendet werden,wurde lackiert oder gefärbt, um ihre körnige Oberflächenstruktur zu betonen. Schlangen- und Tierhäute, zum Beispiel Ponyfell, wurden auf ähnliche Weise verwendet. Elfenbein, das 1900 im Möbeldesign völlig fehlte, erfuhr eine Renaissance und verzierte und veredelte Schubladen, sabots, Schlüssellochbeschläge und die schlanken Umrisse eines geschwungenen Möbelbeins. Schmiedeeisen wurde ebenfalls wieder benutzt, und seine widerspenstige Masse wurde in der Verwendung für Möbel, Beleuchtungskörper und architektonische Elemente gefügig wie Wachs.
Die Partnerschaft von Süe et Mare wurde 1919 in der Compagnie des Arts Francais institutionalisiert. Ihre Möbel waren von der Vergangenheit inspiriert, und ihnen galt der Stil von Louis Philippe als der letzte legitime. Mare erklärt 1920: >> Er erfüllte Bedürfnisse, die wir immer noch haben. Seine Formen sind so rational, dass der Autobauer, der die Innenausstattung eines Wagens entwirft, sie unbewusst verwendet. Wir betreiben keine Wiederbelebung; wir führen ihn nicht bewusst fort, doch wir finden ihn, wenn wir nach einfachen Lösungen suchen, und dadurch binden wir uns an die Gesamtheit unserer großartigen Vergangenheit. Wir schaffen nicht nur modische Kunst.<<
Bei den Sesseln Süe et Mare waren die Polster mit Aubusson-Stoffen überzogen; sie waren mit Quasten verziert und wirkten üppig und einladend, Andere Modelle hätten Barock oder sogar Rokoko sein Können. Leleu war ein noch größerer Traditionalist. Kennzeichnend für ihn waren seine Vorliebe für perfekte Möbelschreinerei, Harmonie sowie die Verwendung der besten verfügbaren Materialien wie Wallnuss, Makassar-Ebenholz, Amboina und Palisander. Marketerien, nie dominierend, waren aus Elfenbein, galuchat oder Horn. Lack wurde in den später Zwanzigerjahren eingeführt, ebenso Messing und Perlmutt-Einlegearbeiten. Darauf folgten Rauchglaspaneele und Metallrahmen in den Dreißgerjahren, letztere jedoch nur in begrenztem Maß, da Leleu fand, dass diese im Gegensatz zu Holz nicht mitzunehmendem Alter besser wurden. Paul *Follot, der Anfang des 20. Jahrhunderts als Designer in Julius Meier-Graefes Galerie La Maison Moderne beschäftigt war, die jedoch nur kurze Zeit bestand, gelang der Übergang von der Ästhetik des Jugendstils mit großer Leichtigkeit. Bei seinen Möbeln, die auf den Salons 1912 und 1913 gezeigt wurden, war ein Motiv mit einem stilisierten Korb mit Früchten oder Sommerblüten zu sehen, das heute als Sinnbild des Art déco gilt. 1923 wurde er zum Direktor des Atelier *Pomone ernannt und 1928 ging er zu Serge *Chermayeff bei Waring & Gillow in Paris. Als ensemblier entwarf er in diesen Jahren eine große Palette von Möbeln in einem neoklassischen und aristokratischen Stil. Ihre prächtige Wirkung erzielten seine Entwürfe zum Teil durch den hellen Damast mit Quasten oder durch Samtpolster in vergoldeten Holzrahmen.
Maurice Duféne, Künstlerischer Leiter von *La Maitrise, dem kunstgewerblichen Atelier des großen Pariser Kaufhauses Lafayette, spielte eine herausragende Rolle bei der maschinellen Herstellung erschwinglicher Möbelstücke, und er war der Ansicht, dass ästhetische Qualität darunter keinesfalls leiden müsse. Bei der Pariser Weltausstellung 1925 waren seine Arbeiten buchstäblich allgegenwärtig. Armand-Albert Rateau war ebenfalls Traditionalist, entwickelte aber einen sehr eigenen persönlichen Stil, und seine Werke werden heute von Art-Déco-Sammlern sehr geschätzt. Er war besonders vom Orient und von der Antike beeinflusst und schuf eine Menagerie mit Vögeln, Insekten und größeren Tieren durchsetzt mit Akanthus und Ringelblumen. Frühe Eichenmöbel wichen Bronze-Arbeiten mit einer verde-antico-Patina. Zwar war er von der Weltausstellung 1925 ausgeschlossen, weil er nicht Mitglied eines Pariser Salons war, doch er fand Wage, seine Arbeiten in den Auslagen einiger Teilnehmer zu zeigen. Die Strategie ging auf, denn einige seiner Arbeiten wurden für die Wanderausstellung ausgewählt, die im folgenden Jahr in acht amerikanischen Museen zu sehen war. Heute ist er vor allem für seine Inneneinrichtung bekannt, die er für das Appartement von Jeanne * Lavin in der Rue Berbet de Jouy in Paris, für den Wohnsitz des amerikanischen Ehepaars George und Florence Blumenthal und für die Herzogin von Alba entworfen hat.
Das Einrichtungshaus *Dominique - das André Domin und Marcel Genevriere 1922 gegründet hatten - produzierte eine große Palette an Stoffen, Möbeln, Teppichen und Metallwaren, Außer an den jährlichen Salons nahm die Firma auch an der Ausstellung 1925 teil und ab dem folgenden Jahr auch an den jährlichen Ausstellungen von >>Les Cinq<<. die Möbelentwürfe der Firma, aus traditionellen Hölzern und größtenteils mit Elfenbeindekor akzentuiert, waren ausnahmslos raffiniert und schlüssig in Ihrer Gestaltung. In den Dreißigerjahren verlagerte sich die Produktion stark auf Synthetikstoffe, zum Beispiel auch Kunstseide und Rodhia-Leinen.
Im ähnlichen Stil wie Dominique arbeitete das 1919 gegründete Einrichtungshaus *DIM, unter der Leitung von René *Joubert, Georges Mouveau und (später) Philippe *Petit, das in seiner traditionellen Ausrichtung oft von Louis XVI und der Restauration beeinflusst war. Seine Möbel wurden , hauptsächlich für prestigeträchtige Kunden, in geringer Stückzahl produziert und vermittelten durch die Verwendung warmer Hölzer wie Palisander, Walnuss und Makassar-Ebenholz das gewünschte Gefühl von Luxus. Für das Interieur wurden sehr wirkungsvoll große Paneele mit Wurzelholzfunier wie Palisander mit seiner charakteristischen Maserung eingesetzt.
Einlegearbeiten wurden sehr zurückhaltend verwendet und beschränkten sich auf Elfenbein- oder Padouk-Kreuzbandmuster oder Zierleisten. In den Zwanzigerjahren gab es bei den Möbeln von Léon-Albert *Jallot, einem Möbeldesigner der älteren Generation, typische Formen des 18. Jahrhunderts mit aufwändig geschnitztem Blumendekor. Doch ab 1919 wandte er sich von diesem Stil ab und verwendete stattdessen dekorative Wurzelholzfuniere als Kontrast. Elfenbein- oder Perlmutt-Einlegearbeiten werteten die lebendige Maserung des Holzes auf.